'Farbleben', Daniel Spanke, 2008

in: Rosa M Hessling. "Garden of Light III", Rheinisches LandesMuseum Bonn, 2008

Werke Rosa M Hesslings lassen sich kaum reproduzieren. Von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachtet, ändert sich ihre Farbigkeit zum Teil radikal, sie schlägt um und wir sehen ein auf unsere eigene Bewegung geradezu lebendig reagierendes Bild. Die Künstlerin erreicht dies mit einer technisch relativ neuen Generation von Pigmenten von irisierendem Farbenspiel, das durch Lichtbrechung an dünnen, halbtransparenten Schichten, Glanz- und Interferenzeffekten je nach Blickwinkel die Bandbreite zwischen verschiedenen Tönungen durchläuft. Dadurch entsteht der Eindruck eines sich ständig aus der Tiefe der Bildfläche chromatisch verändernden Leuchtens.

Wenn Kunstwerke ohnehin nur im Original angemessen zu erleben sind, gilt dies verstärkt für Rosa M Hesslings Bilder. Nur als Originale sind die Farbwechsel, die Farbübergänge und die Halbdurchsichtigkeit der Bildfläche wahrzunehmen und nur im zeitlichen Ablauf der aktiven, und das heißt sich eben auch räumlich verändernden Betrachtung. Reproduktionen gehen jedoch davon aus, dass ein signifikanter Zustand festgehalten werden kann. Dass dieser Katalog trotzdem mit Abbildungen ausgestattet worden ist, hat seinen Grund darin, dass Bilder traditionell als unveränderlich und so als abbildbar gelten. Es hat grundsätzlich mit dem Begriff des Bildes zu tun, der davon ausgeht, das ein Bild einer Ansicht Dauer verleiht, das nun kaum ein anderes Medium als das gedruckte und bebilderte Buch als Vermittlungsinstrument zur Verfügung steht, um diese Ausstellung zu begleiten und zu dokumentieren. Sicher wäre ein Film angemessener, aber sehr viel unüblicher, nicht so leicht zu handhaben und wohl auch teurer.

Dennoch ist der Widerspruch zwischen der Wirklichkeit dieser Gemälde und ihrer Verbreitung durch Druckerzeugnisse gedanklich produktiv, ist er doch ein gut geeigneter Einstieg in die jüngere Geschichte des künstlerischen Bildes, das neue Bild der Moderne, die eben an der Ausweitung der Grenzen des Mediums arbeitet.1 Daran hat ganz zuletzt auch Rosa M Hessling ihren Anteil. Immer schon hat man dem Bild im Wettstreit mit den Kunstgattungen der Literatur oder der Musik vorgeworfen, nicht in der Lage zu sein, die grundsätzlich zeitliche Dimension unserer Wirklichkeit wiederzugeben.2 Bilder seien starr und könnten die Sukzessivität erlebten Geschehens nicht fassen. Ihnen fehle damit ein entscheidender Aspekt unseres Lebens. Allerdings ist die „Starrheit“, die Fixierungsfähigkeit des Bildes gerade der Grund für seinen kulturellen Erfolg in der Geschichte der gesamten Menschheit, ja wahrscheinlich auch der Grund für seine Entwicklung überhaupt gewesen. Bilder begleiten den Menschen seit den allerfrühesten Tagen seiner Kultur und er schuf sich damit ein Medium gerade gegen das dauernde Verschwinden von Gegenwart, ein Medium des visuellen Festhaltens, der Ewigkeit des Blickens, das das Sehen der Welt immer schon grundsätzlich mitprägt. Wir schauen unsere Welt seit den frühen Tagen des Homo sapiens culturalis immer schon bildförmig an, für Bilder prädestiniert und auf Bilder hin selektiv.

So gesehen ist es eigentlich etwas Widersinniges, dem Bild, dessen „kultur-evolutionärer Erfolg“ gerade auf der Ausblendung von Zeit als Entschwindender beruht, Elemente vergehender Momente einpflanzen zu wollen. Dieser Wunsch hat mit der Art und Weise der Betrachtung von Bildern zu tun. Was tun wir, wenn wir ein Bild betrachten? Wenn man das Abgebildete, Wiedergegebene ausgiebig studieren will, wie es etwa bei Karten, Stadtansichten oder bei Röntgenaufnahmen der Fall ist, würde eine Veränderlichkeit gerade den Vorteil zunichte machen, der solche Bilder unschlagbar macht: nämlich das Anzusehende für die Betrachtung unverrückbar still zu halten. Die Perspektive dieses examinierenden Blicks ist eine der Herrschaft: das Abgebildete wird für einen bestimmten Gebrauch auswertbar und damit beherrschbar. Allerdings sollten Bilder schon früh nicht nur eine Art Studienpräparat von Wirklichkeit abgeben, sondern das Lebendige selbst ins Bild setzen: Die frühesten Malereien in den Höhlen der so genannten prähistorischen Kulturen machten Tiere und die Jagd auf sie gleichsam dingfest. Auch ihnen ist eher eine Perspektive der Beherrschung eigen. Anders hingegen sieht der Fall aus, wenn dem Abgebildete selbst eine Herrschaftsfunktion zugesprochen werden soll. Das Bild des Königs und noch mehr das Bild der Gottheit darf gerade nicht als beherrschbares Studien- oder Aneignungsobjekt erscheinen, soll seine Macht als lebendige Wirkung und Wirklichkeit behauptet werden. Solche Bilder haben seit jeher die Tendenz selbst als aktive, handelnde, und agierende aufzutreten: Gottheiten, die sich in ihren Bildern manifestieren und in ihren Bildern handeln, als wären sie lebendig. Nur das Übermächtige hat die Kraft, das Tote, das Bild zu beleben, so wie einst alles Lebendige durch die Gottheit aus dem Unbelebten geschaffen, gerufen, gebildet wurde. Das Bild bleibt als bloßes Bild immer präsent, aber die Evidenz der Gottheit erweist sich gerade darin, ihr Bild gegen alle Erwartungen als „irdischen Körper“ in Besitz zu nehmen und zu beseelen. Selbst wenn es sich dabei um technische Tricks handelte, und oft genug wird das so gewesen sein, ist die Annahme, diese Bilder sollten so agieren wie lebendig, ein Akt des Glaubens und seine Bestätigung. Im Glauben an die Gottheit wird das sie zeigende Bild ein bloßes Vehikel ihrer geglaubten Wirklichkeit.

Seit der Neuzeit in Europa werden die Bilder allerdings tendenziell abgekoppelt von der Repräsentation abwesender Wirklichkeiten. Das Bild selbst wird zum Ziel der Betrachtung und gerade das, was die religiösen Bilderkritiken immer ausgeschlossen hatten, dass es in der Betrachtung um das Bild selbst, ein doch totes und bloß materielles Ding ginge, wird nun zum Leitmotiv der Bildrezeption – das Kunstwerk im europäischen Sinne entsteht.3 Bilder als Kunstwerke werden nicht mehr hauptsächlich angeschaut, gesammelt oder hergestellt im Hinblick auf etwas Darzustellendes, damit es ein Bild des Herrschers oder der Gottheit gäbe, sondern im Hinblick auf die Darstellung als geistige Selbstaussage des Künstlers, die als solche interpretiert wird. Dass es solche Aufträge und Funktionen für Bilder weiterhin gibt, modern etwa in der Werbefotografie, zeigt, das es neben dem Konzept des Kunstwerks auch noch andere Bildkonzepte, Bildparadigmen gibt, oftmals mehrere, wechselnde und sich überlagernde in einem Bild. Das Konzept des Kunstwerks ist mit dem Auftrag, der Absicht, die Funktion hingegen nur schlecht kompatibel.

Schon der französische Impressionismus löste das Bild von der Wiedergabe begrifflicher Identität von Gegenständen und entwickelte es zum Medium der Wahrnehmung der Welt dieser Gegenstände. Dabei könnten die Dinge sich in der Wirklichkeit des zu sehenden Lichtes geradezu auflösen in farbige Sensationen, wie es an der Malerei Claude Monets exemplarisch wahrgenommen werden kann. Monet setzt einzelne Farbflecken auf die Leinwand, die nicht mehr die Materialität der physikalischen Körper im Raum bezeichnen, sondern vielmehr den Seheindruck im Auge. Insofern abstrahiert diese Malerei von der Einteilung der Welt in Dinge und verschwistert in der farbfleckenvernetzten Oberfläche des Bildes alles mit allem. Die Unterschiede in der Welt erscheinen nur noch als farbig modulierte. Damit ist die Welt künstlerisch auf den Nenner des Bildes gebracht; Welt ist, so gesehen, nur noch, was Bild ist, und Bilder haben immer schon eigene Eigenschaften. Wie angesprochen, gehörte zu diesen nicht unbedingt, den Abläufen in der Welt, den physikalischen Prozessen, die Körper im Raum betreffen, in der Darstellung gerecht werden zu können. Doch indem Monet und die Impressionisten die Welt als übergängig modulierte Farbwelt ins Bild setzten, wohnt der notwendigen Unschärfe dieser Modulation schon ein Moment des Veränderlichen inne. Diese immanente Transitorik seiner Bildwelt, die ihre Entsprechung im wetter- und tageszeitenbedingten Wandel des Lichts hat, baut Monet zu den berühmten Serien aus, in denen er ein gleiches, in seiner Bedeutung noch zu diskutierendes Motiv in mehreren, einander gleichgestellten Bildern durchspielt.4 Von hier aus entspringt einer breiter werdender Strom moderner Malerei in das 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein. Eine Kunstgeschichte, die in der Entwicklung der so genannten ungegenständlichen Malerei einen Hauptweg sieht, gilt das Motiv tendenziell nur als an sich belangloser Anlass zur Verwirklichung von Malerei. Besonders für die deutsche Nachkriegszeit hat die Frage nach gegenständlicher oder ungegenständlicher Malerei eine ideologische Färbung und höchste Priorität angenommen. Allerdings ist es natürlich nicht gleichgültig, dass Monet seine berühmten Serien an Motiven der Natur und sogar der sakralen Sphäre, wie die berühmten Ansichten der Kathedrale von Rouen, entfaltet. In der Tat kann man fragen, inwiefern diesem Sujet nicht vielmehr eine Art sakularisierte Postkartenansicht zu Grunde liegt.5 Doch wäre eine Deutung als bildlich verlebendigte Wahrnehmung des Hauses Gottes ebenso denkbar. Es ist höchst aufschlussreich, das zahlreiche Pioniere der Abstraktion wie Wassily Kandinsky, Mikolajus Čiurlionis oder Adolf Hölzel auf religiöse Motive zurückgriffen, um abstrakte, dynamisierte Bilder zu entwickeln. Die Geschichte des selbsthandelnden, sich verändernden, lebendigen Bildes aus der Erfahrung des Religiösen heraus erfährt eine verwandelt eine moderne Fortsetzung.

Rosa M Hesslings Werke sind jüngere, kunsthistorisch gesehen vergleichsweise späte Entwicklungen dieses „lebendigen Bildes“ in der Moderne. In ihrer Anwendung von physikalisch hoch komplexen Interferenzfarben haben sie den kulturellen Primat des Naturwissenschaftlichen in der Moderne zu einer Voraussetzung, der sich auch schon auf die Künstler des Impressionismus auswirkte, indem daran interessiert waren, ihre Malerei mit zeitgenössisch neuesten Seh- und Farbtheorien wie derjenigen des Chemikers Eugène Chevreuls in Einklang zu bringen.6 Die glatte, geschlossene Oberfläche der Bilder Hesslings gibt keinen Aufschluss über das Gemachtsein und die Wirkungsweise dieser Farben, so dass der Betrachter die zu beobachtenden Phänomene eben als „Reaktionen des Bildes“ selbst erfährt. Dabei verschmelzt die Künstlerin die oft querliegenden einzelnen und in der Bewegung modulierenden Streifen in die Unschärfe einer Unabgrenzbarkeit einzelner Elemente. Obwohl die simultan zu sehenden Farben oft stark kontrastieren, ist ihre Form nur schwer auszumachen und zu definieren. Diese Streifenstruktur konnotiert quer per se Landschaftliches und lässt längs ebenfalls an Natürliches wie Vegetation denken. Hessling organisiert ihre Werke gleichsam „transkompositorisch“. Eine Bildkomposition wäre eine Anordnung von Elementen, die in einem wie auch immer heiklen Verhältnis des auf der Fläche Ausponderiertseins die Stabilität des „gebauten Bildes“ bewirkte. Diese mit Interferenzeffekten gemalten Arbeiten lassen jedoch die Farbformen selbst ineinander überfließen. Zweifellos ist damit ein bestimmtes Naturbild angesprochen, dass sich der Beherrschbarkeit durch einen distanzierten Betrachter entzieht und den Menschen als Involvierten begreift.

 

1 Vgl. dazu z.B. Kat.\Cf. e.g. cat. Das offene Bild. Aspekte der Moderne in Europa nach 1945. Westfäisches Landesmuseum Münster 1992/93. Stuttgart 1992.

2 Siehe dazu mit einer positiven Bewertung des Bildlichen\For a positive evaluation of the pictorial, see Gottfried Boehm: Zu einer Hermeneutik des Bildes, in: Hans-Georg Gadamer/Gottfried Boehm: Seminar. Die Hermeneutik und die Wissenschaften. Frankfurt am Main 1978, S. 444-471.

3 Vgl. dazu\C.f. Daniel Spanke: Porträt – Ikone – Kunst. Zu einer Bildtheorie der Kunst. München 2004.

4 Siehe Kat.\See cat. Monets Vermächtnis. Serie - Ordnung und Obsession. Hamburger Kunsthalle 2001/02. Ostfildern 2001.

5 Vgl.\Cf. Dagmar E. Kronenberger: Die Kathedrale als Serienmotiv. Motivkundliche Studien zu einem Bildthema in der Malerei des französischen Impressionismus (Diss. Münster 1995). Frankfurt a.M. [u.a.] 1996.

6 Siehe z.B.\See e.g. Georges Roque: Art et science de la couleur. Chevreul et les peintres de Delacroix à l‘abstraction. Nîmes 1997; Max Imdahl: Farbe. Kunsttheoretische Reflexionen in Frankreich. München 1987.